Rund um den roten Kontinent
Angezogen von der Weite und Stille, aber auch von den Bilderbuchstränden des fünften Kontinents, machen sich die Weltenbummler Dieter und Juliana Kreutzkamp erneut auf, Australien zu erkunden - diesmal auf der Traumstraße, dem Highway Number One, einmal rund um den Kontinent. Dabei begegnen sie nicht nur Krokodilen und giftigen Schlangen, Koalas und wilden Delfinen - sie forschen auch nach den Geschichten der Pioniere und treffen Aborigines, Abenteurer und Aussteiger. So stellen sie am Ende fest: Begegnungen sind das Salz in der Suppe des Reisens. Lesen Sie hier einen Auszug aus Dieter Kreutzkamps Buch "Rund um den Roten Kontinent - Mit dem VW Bulli auf Australiens Highway One".
Zaghaft blinzelt die Sonne durch die Zweige. Meine Tochter Bettina und ich, die wir gerade mit dem Nachtflug von Kuala Lumpur gekommen sind, folgen Julianas ausgestrecktem Arm. Die Müdigkeit des langen Fluges ist schlagartig weggewischt.
"... unser rollendes Zuhause." Juliana öffnet stolz die Seitentür des weißen VW Bullis. In diesem Moment krakeelt es im Eukalyptusbaum über uns. Das anfangs kehlige Gurren des Vogels wird zum heiseren Gickern und steigert sich zum Lachanfall. Seit diesem Augenblick heißt unser Bulli "Kookaburra"...
Knapp eine Woche bleiben wir in Sydney, dann sind die Reisevorbereitungen erledigt. Die Reise rund um den Roten Kontinent beginnt.
"Kookaburras" Vorratsbehälter sind gut gefüllt. Mein letzter Blick gilt den Ersatzteilen: Vom Spaten zum Freischaufeln (für alle Fälle, obwohl auch unser "Kookaburra" ein geländegängiger T4 Syncro ist) bis hin zum Kocher, der sich mit ein paar Handgriffen von innen mit hinaus nehmen lässt, ist alles komplett. Zwar ist der Highway One fast durchgehend asphaltiert. Doch hier und da planen wir Abstecher, zum Beispiel nach Fraser Island, vielleicht auch auf die Cape-York-Halbinsel, den nördlichsten Punkt Australiens. Es ist mir einfach lieber, für alle Fälle gerüstet zu sein. Das gibt Unabhängigkeit, Freiraum zur Spontanität.
Mehr als zwei Monate Zeit stecken in unserem Reisegepäck. Bettina wird uns zwischen Sydney und Nord-Queensland begleiten und dann nach Hause fliegen. Den Rest der Traumstraße haben Juliana und ich für uns beide vorgemerkt. Sollte die Reise länger dauern als die grob geplanten zehn Wochen, wird sie eher nach Hause fliegen müssen. Morgen können wir starten.
Die australische Traumstraße ist, wie der Name sagt, die Number One. Wie eine Kette schmiegt sie sich an die Außenkante des fünften Kontinents. Einige Perlen dieser Kette sind Städte mit klangvollen Namen: Sydney, Brisbane, Darwin, Perth, Adelaide und Melbourne.
Uns allerdings locken Queenslands tropische Strände, die von Krokodilen bewohnten Mangrovenwälder im Northern Territory und die mancherorts von Milliarden Muscheln bedeckten Küsten Westaustraliens. Mit fast 20.000 Kilometern hält die Number One den Weltrekord als längster nationaler Highway. Da kann selbst der kanadische Trans Canada Highway, mit "nur" 7.821 Kilometern nicht mithalten.
Wochen später erreichen wir im tropischen Cape York den nördlichsten Zipfel des Kontinents. "Kookaburras" Reifen poltern jetzt über spitze Steine. Die Cape Tribulation Road ist noch unebener geworden. Kleine Flussbetten stimmen mich auf das ein, was weiter oben im Norden auf mich zukommen wird. Zum Glück ist das Wasser hier nur knietief, es spritzt, und schon bin ich durch.
Nördlich von Cape Tribulation zieht die Natur alle Register der Schönheit. Steil schlängelt sich die Piste in die von dichten grünen Wäldern bedeckte Donovan Range, langsam krieche ich auf der anderen Seite im ersten Gang zum Luana Creek hinab. Meine Pulsfrequenz steigt am Bloomfield River - vor Jahren schwappte mir in dem felsigen Flussbett das Wasser bis über die Kühlerhaube. Doch eine befestigte Furt hat dem Fluss heute einen Teil seines Schreckens genommen. Der Puls beruhigt sich.
Bei der Ankunft am Lion's Den Hotel liegt eine bleischwere Hitze über Cape York, meine Zunge klebt am Gaumen. Lion's Den ist eine dieser legendären australischen Tränken für Viehtreiber, Truck-Fahrer, Farmer und heute auch für gelegentlich vorbeischauende Touristen... An die verräucherte Decke hat jemand ein Schild mit der Aufschrift "No pubs next 500 km!" genagelt. Die Vorstellung, dass es die nächsten 500 Kilometer keine Kneipe geben wird, ist ein Albtraum hier.
Tagebucheintrag 23. April: "Als ich abends Bamaga, den nördlichsten Ort auf dem australischen Festland erreichte, lag die erfolgreiche Durchquerung des Jardine River hinter mir. Eben noch hatte ich vor Bamaga das Wrack eines 1945 abgestürzten DC3-Flugzeugs bestaunt. Morgen würde ich zum Jackey Airport fahren, in dessen Umkreis weitere Flugzeugwracks aus dem Zweiten Weltkrieg liegen.
Die Tagestemperatur lag bei 31 Grad im Schatten, erst die Nacht brachte "Kühlung": 30 Grad! Auf dem Parkplatz unweit jenes alten Fasses, das den
Northernmost Point of the Australian Continent markiert, hockte ich zwischen abenteuerlichen Gestalten und ihren Autos. Manche der Geländewagen waren verbeult, alle aber verdreckt, viele schwer beladen. Zwischen uns knisterte ein Lagerfeuer. Und während wir den Cape York Track Revue passieren ließen, wurden die Schlammlöcher von von Bierdose zu Bierdose größer und Auto-mordender, unsere Fahrleistungen heroischer und die Gesichter röter.
Während im Westen das Rosa des Sonnenuntergangs verblasste, fühlten wir uns als echte Abenteurer. Und wir waren uns einig, dass dieser Abend am Cape York, 3.000 Kilometer von Brisbane entfernt, die Belohnung für all den Staub war, den wir unterwegs gefressen hatten."