Mit dem T2 zu den Pyramiden: Fahrten nach Ägypten und durch die Wüste 1992–1996 Teil III
Zwischen 1992 und 1996 fuhr Volker Riegas mit einem T2 mehrfach nach und durch Ägypten. Im dritten Teil der Serie geht es unter anderem über eine legendäre Wüstenstraße zwischen Oasen.
Teil eins des Reiseberichts könnt Ihr hier nachlesen.
Teil zwei des Reiseberichts könnt Ihr hier nachlesen.
Ich hatte mir vorgenommen, "Bulli unter den Pyramiden"-Fotos zu machen, was auch gelang. Der ganze Bereich um die Pyramiden war damals noch uneingeschränkt zugänglich und befahrbar. Ein paar Mal fuhr ich hin und her, bis das optimale Bild im Kasten war.
Kairo ist eine quirlige Stadt, auf den Straßen herrscht ein für Europäer unvorstellbares Gedränge, Gewusel und Gehupe. Anhalten und Abstandhalten sind unerwünscht, es soll stets möglichst zügig weitergehen, notfalls im Schritttempo. Zehn Zentimeter Abstand zu den anderen Autos sind ausreichend, notfalls auch weniger. Bei etwa fünf Zentimetern Abstand muss einer langsamer werden und den anderen vorlassen. Die Vorfahrt organisiert sich irgendwie, ohne dass es zu aggressiven Fahrmanövern kommt. Regeln konnte ich nicht erkennen, aber nach einigen Tagen ging das Fahren mit etwas Intuition so leidlich. Dennoch sahen wir mehrere Fahrer und Autos, die Unfälle erlitten hatten.
Die Stadt ist voller Sehenswürdigkeiten, die Pyramiden, die fantastischen archäologischen Sammlungen, Moscheen und Kirchen. Der Stadtteil Alt Kairo ist wunderschön. Es ist eine lebendige, überraschend weltoffene Stadt. Im ägyptischen Museum war ich über die Präzision und Qualität der Grabbeilagen des Tutanchamun-Grabes überrascht. Wie konnten die Handwerker mit einfachem Werkzeug seinerzeit so exakt arbeiten? Wie konnten sie überhaupt ohne Hilfe von Maschinen die riesigen Pyramiden erbauen?
Die alten Ägypter bauten gern groß, massiv und überdauernd. Sie fertigten wunderschöne Skulpturen an, malten viel und gern und schrieben auf haltbaren Tontafeln. Das trockene Klima trug wohl entscheidend dazu dabei, die Kulturgüter zu konservieren. Ihr Wissen blieb uns so erhalten. Fundstücke im ägyptischen Museum veranschaulichen, wie sie schrittweise von Bildern zur Keilschrift und dann zur kompakten Lautschrift übergingen. In diesem Land hat sich seinerzeit die Menschheit entscheidend weiterentwickelt, zumal das Land unter den gottähnlichen Pharaonen penibel verwaltet wurde. Das ägyptische Reich dehnte sich durch Eroberungen immer weiter aus. Die Pharaonen wurden immer mächtiger und göttlicher. Unter dem Pharao Echnaton entwickelte sich eine Religion, die sich auf einen einzigen unsterblichen Gott hin ausrichtet. Dieser Glaube an nur einen Gott prägt bis heute als Christentum das abendländische Europa. Erst Griechen und Römer beendeten viele Jahrhunderte später die Herrschaft der Pharaonen und übernahmen ihre Errungenschaften.
Anschließend ging unsere Reise weiter nach Alexandria, dann entlang der Mittelmeerküste weiter nach Marsa Matruh. Hier begann die Wüstenstraße zur Oase Siwa und damit das eigentliche Abenteuer. Links und rechts der Straße ist nichts als Wüste, stundenlang. Sand, Steine, selten ein paar Wüstensträucher, Kamele und stets strahlend blauer Himmel. Die Straße wurde schmal, einige Abschnitte waren gut befahrbar, andere voller Löcher, stellenweise war die Straße durch Sand bedeckt. Oasen des 20. Jahrhunderts darf man sich nicht als kleine Siedlungen mit einer idyllischen Wasserquelle, umgeben von Palmen, vorstellen. So war es vielleicht vor vielen Jahrhunderten. Die Oase Siwa hat, ähnlich wie die anderen Oasen auch, über zehntausend Einwohner. Pumpen fördern große Mengen Wasser und ermöglichen Landwirtschaft und Viehzucht.
Jede der sechs ägyptischen Oasen hat eine asphaltierte Verbindungsstraße zum Zentrum des Landes. Auf den Wüstenstraßen wollten wir fahren. Eine Ausnahme ist die Straße von Siwa nach Baharyia, die zwei Oasen direkt verbindet, also für die Versorgung von Oasenbewohnern entbehrlich ist. Sie wurde nur wenig genutzt.
In Siwa angekommen mieteten wir für einige Tage ein Hotelzimmer. Wir genossen die Vorzüge des komfortablen Lebens. Ein unvergleichlich angenehmes Bad im Quellbecken mit glasklarem über 30 Grad warmen Wasser gehörte dazu.
In der Oase war die Zeit zwar nicht stehen geblieben, es gab schon etwas Tourismus und okzidentale Einflüsse, aber gerade hier war für viele Bewohner das Leben noch sehr traditionell. Sie wirkten trotz offensichtlicher Armut oftmals geradezu heiter, unbekümmert und lebensfroh – Reichtum des Herzens.
Die Siwa-Bewohner stammen überwiegend von Berbern ab. Sie haben eine ganz eigene, recht konservative Kultur, die sich vom übrigen Ägypten deutlich unterscheidet. Siwa ist bekannt für Dattel- und Olivenbäume. Sogar Alexander der Große soll den Ort besucht haben.
Nach einer tage- oder wochenlangen mühseligen und entbehrungsreichen Wüstendurchquerung müssen den damaligen Reisenden die Oasen mit kaltem Wasser, süßen Früchten und reichlich Nahrung wie das Paradies vorgekommen sein. Gut möglich, dass die religiöse Vorstellung von der Existenz eines Paradieses, in das die guten Menschen nach dem Tod gelangen, so entstanden ist.
In Siwa gab es eine Besonderheit. Homosexualität war ein Thema und weit verbreitet. Sexuelles unter Männern war zwar religiös streng verboten und wurde tot geschwiegen. Es wurde aber in Siwa sozial toleriert. Es war der einzige mir bekannte Ort, an dem das üblich war. Im Reiseführer wurde es kurz erwähnt und ich versuchte, mehr über das Thema zu erfahren. Etwas verlegen bestätigten meine Gesprächspartner, dass es in Siwa häufiger als anderenorts homosexuelle Beziehungen zwischen Männern gebe, aber niemand kannte wissenschaftliche Forschungen zu dem interessanten Thema.
Dann ging es weiter zur Oase Baharyia. Zuvor hatte ich unsere Fahrt bei dem Präfekten der Oase angemeldet. Er empfing mich freundlich, wir plauderten etwas. Den Kontrollpunkten des Militärs entlang der Straße wurde meine zu erwartende Ankunft durch eine Sprechfunkverbindung gemeldet.
Mehrere Fotos zeigen die Durchquerung der Wüste von der Oase Siwa zur Oase Bahariya, 400 Kilometer lang. Es ist die Traumroute schlechthin. Farbige Steinformationen, mal rötlich, mal schwarz, gelb – weißlicher Sand, und stets ein weiter, weiter Horizont. Das alles wurde beleuchtet von einem sehr hell strahlenden Sonnenlicht.
Die unendliche menschenleere Weite vermittelt ein starkes Gefühl der Ruhe.
Auf der Strecke kamen uns im Verlauf eines Tages vielleicht fünf Fahrzeuge entgegen. Man hielt wie selbstverständlich an und erkundigte sich besorgt und zugleich freundlich, ob auch alles in Ordnung sei. Wir ließen uns Zeit für die Strecke und durften bei einem Militärcheckpunkt etwas abseits der Straße übernachten. Die Soldaten wohnten in einfachen Zelten. Das Militär hatte sogar noch Lastkamele mit militärischen Kennzeichen. Mit den Oasen hielten sie Sprechfunkverbindung. Stolz führten sie ihre Technik vor. Das Gerät rauschte so stark, dass man die Sprache manchmal kaum verstehen konnte.
Eine Zeitlang durchquerten wir die schwarze Wüste, schwarzer Staub und Felsen gaben diesem Abschnitt den Namen. Die schwarzen Hügel sind vulkanischen Ursprungs, dabei wurde das dunkle Dolorit ausgeworfen.
Zwischen Bahariya und Farafra ist die Weiße Wüste gelegen. Sie besteht aus Kalkformationen, manchenorts befinden sich zahlreiche Versteinerungen. Bei der Durchfahrt setzte ich eine zweite Sonnenbrille auf, um meine Augen vor dem grellen Licht zu schonen.
Die asphaltierte Strecke war insgesamt etwa 1300 Kilometer lang. Sie hatte ganz schlechte Passagen, streckenweise mussten wir eine Stunde lang mit maximal 40 km/h fahren. Es gab auch verwitterte Streckenabschnitte mit "Waschbrett"-Oberfläche, die waren noch problematischer. Es ging nur ganz langsam weiter. Wir lernten, das Fahrwerk zu schonen, es gab keine Reparaturwerkstatt weit und breit. Der VW war buchstäblich unser "rollendes Heim" inmitten der Wüste.
An einigen Stellen war die Straße durch Verwehungen versandet, schätzungsweise bis zu einem Meter hoch. Diese manchmal 300 Meter langen Sandflächen mussten überfahren werden. Am besten mit Anlauf auf dem Asphalt und dann mit Vollgas im zweiten Gang, möglichst schnell und mit reichlich Schwung. Bloß nicht langsam werden. Etwa viermal haben wir den Wagen freigegraben, hochgehoben und auf die mitgebrachten Bretter gestellt. Dann weiterfahren, so weit und schnell es eben geht. Man kann sich nicht vorstellen, wie schwer so ein festsitzender Bulli werden kann. Mit der Zeit lernten wir, vorab die besten Passagen zu finden und nicht mehr stecken zu bleiben.
Der heckgetriebene, technisch einfache VW Bulli ist, richtig gefahren, erstaunlich geländegängig. Er ist auch sprichwörtlich zuverlässig, vorausgesetzt, er wurde stets vorschriftsmäßig gewartet. Nicht ein einziges technisches Problem ist aufgetreten bei den drei Fahrten. Schlüssel drehen und er lief unentwegt, getreu dem VW-Motto "und läuft und läuft …"
Sogar mit dem oktanarmen, aber dafür stark verbleiten ägyptischen Sprit wurde er fertig - vorausgesetzt, man fuhr zurückhaltend, stets mit wenig Gas bei mittleren Drehzahlen, nicht untertourig. Kein starkes Gasgeben bei niedriger Drehzahl, denn es darf vor allem nicht wegen Frühzündungen "knacksen".
Die Rückfahrt:
Der Wüstentrip endete in der großen Oase El Kharga. Dann ging es von Assiut am Nil entlang, zurück nach Kairo und weiter nach Alexandria zur Fähre. Sie brachte uns zurück zum Hafen Piräus in Griechenland. Wir durchquerten Griechenland und von Hafen Igoumenitsa nahmen wir ein Schiff nach Brindisi in Italien. Jetzt war es nicht mehr weit bis nach Deutschland. Nach insgesamt 9500 Kilometern waren wir wieder in der Heimat.
Zweite Fahrt nach Israel und Ägypten:
Im nächsten Jahr ging die Reise zunächst nach Piräus in Griechenland und dann mit einer Fähre von Piräus nach Haifa in Israel. Wir beschlossen, diesmal nicht auf dem Landweg, sondern über Israel weiter nach Ägypten anzureisen. Im Tondok-Reiseführer wurde die Möglichkeit beschrieben. Die alte Fähre fuhr mit Zwischenstopps entlang der griechischen Inseln nach Haifa.
Israel wirkt wie ein europäisches Land. Es ist voller historischer Sehenswürdigkeiten. Hier prallen die arabische und jüdisch–abendländische Kultur direkt aufeinander. Verglichen mit Ägypten ist es fast winzig, nur halb so groß wie die Schweiz. Israel ist etwa 400 Kilometer lang und zwischen 15 und 130 Kilometer breit. Ein Foto zeigt einen malerischen Palmenhain mit Doumpalmen in der Nähe von Elat in Südisrael. Wir blieben mehrere Wochen in Israel.
Um nach Nordägypten zu gelangen, mussten wir das Autonomiegebiet Gaza-Streifen durchfahren. Er war etwa 40 Kilometer lang und etwa acht Kilometer breit. Es gab keine Grenzübergänge für freien Personenverkehr oder Handel.
Der Gaza-Streifen gehörte zum israelischen Staatsgebiet, hatte aber eine eigene palästinensische Verwaltung. Wir hielten uns an den dringenden Ratschlag, zügig zu fahren und nicht anzuhalten. Nur bei einer kurzen Passkontrolle durch palästinensische Polizisten hielten wir an. Ich machte trotzdem einige Fotos aus dem Wagen. Sie zeigen die extreme Armut und Rückständigkeit.
Das Gaza-Gebiet wirkte verwahrlost, augenscheinlich ohne intakte Exportwirtschaft und Infrastruktur.
Politische Wandbilder und Graffitis ließen das Ausmaß der Spannungen erahnen. Die düstere Stimmung der Umgebung war beängstigend und erdrückend.
Ich war erleichtert, als bei Rafah moderne israelische Grenzgebäude auftauchten. Anschließend passierten wir zunächst die israelische und dann die ägyptische Grenzkontrolle. Die ägyptischen Grenzer kontrollierten gründlich und penibel, sogar den Unterboden des Wagens.
Die Reise durch Ägypten führte diesmal auf den Sinai und anschließend über den Übergangspunkt Taba – Elat zurück nach Israel. Von Haifa aus nahmen wir die Fähre nach Griechenland.
Wieder in Ägypten:
1996, drei Jahre später, fuhren wir ein drittes Mal nach Ägypten. Diesmal nahmen wir die "Egitto Express", eine komfortable Fähre von Venedig nach Alexandria. Wir wollten noch einmal die märchenhaft schöne Wüstenstrecke fahren.
Zu Übergriffen, gefährlichen Situationen, ernsten Schwierigkeiten und Problemen war es bei den beiden vorherigen Fahrten nicht gekommen. Ägypten hatte sich als ein besonders sicheres Reiseland erwiesen. Ab 1993 waren erste islamistische Unruhen entflammt, es gab Straßensperrungen. Unruhen und Angst vor Terrorismus hatten sich ausgebreitet. Das überraschte uns, wir waren darauf überhaupt nicht vorbereitet.
Noch waren Individualreisen erlaubt und wurden genehmigt, aber sie wurden schwierig. An manchen Strecken entlang des Nils, wie Al Minya, wurde Begleitung durch einen vorausfahrenden gepanzerten Mannschaftstransporter zur Pflicht. Manchmal stieß ein zweites Fahrzeug dazu, ein Pickup mit mehreren auf Bänken sitzenden Soldaten, bewaffnet mit Maschinengewehren. Der Pickup fuhr dann hinter uns her. Was für ein Aufwand für zwei einfache Touristen in einem 20 Jahre alten VW Bulli.
Zwei Mal mussten wir in streng bewachten Hotels übernachten. Wir trauten und kaum, das Hotel für einen Stadtbummel zu verlassen und versuchten, uns in der Menge unauffällig und schnell zu bewegen.
Das Fahren in der Krisenregion wurde immer mühsamer, zeitweise war es einem dabei mulmig. An militärischen Straßensperren konnten wir an Betonteilen und Hauswänden deutliche Abplatzungen erkennen. Sie stammten von Schießereien. Um uns herum standen Polizisten und Militärs, ausgerüstet mit stets schussbereiten Maschinenpistolen und Ersatzmunition. Nichts desto weniger – sie waren fast immer optimistisch - gesprächig, freundlich und hilfsbereit.
Wir fuhren am Ende trotzdem noch einmal die gesamte Traumstraße entlang der Oasen und dann am Nil entlang nach Kairo. Der Tourismus hatte merklich abgeflaut. Die Stimmung vieler im Tourismussektor arbeitender Ägypter war deutlich gereizt.
Von Kairo aus durchquerten wir den Sinai nach Scharm El–Scheich. Entlang der Straße erhoben sich die beeindruckenden Felsformationen des Sinai-Gebirges.
In dem Jahr wollten wir über den Landweg nach Deutschland zurückreisen. Also fuhren wir nach Taba zur israelischen Grenze. Der Grenzübertritt ging relativ schnell vonstatten, Ägypter und Israelis hatten seit 1978 einen Friedensvertrag und man versuchte bei allen politischen Unterschieden das Beste daraus zu machen.
Von Israel aus konnte man 1996 über einen neuen Grenzübergang, die Allenby–Brücke, auch King–Hussein Brücke genannt, nach Jordanien einreisen. In Jordanien erreichten wir die Ruinen der altrömischen Stadt Gerasa bei Jerasch. Es war eine sehr gut erhaltene römische Stadt mit mehreren Tempeln, einem Triumphbogen, Nymphäum. Die zahlreichen alten Säulen bezeugten eine große Epoche.
An der jordanisch-syrischen Grenze wurde uns die Weiterreise verweigert. Die syrischen Grenzbeamten hatten anhand der alten Passtempel rekonstruiert, dass wir 1993 in Israel gewesen waren. Es galt die Regel: Der Fuß, welcher israelischen Boden berührt hat, darf syrischen Boden nicht betreten. Keine Diskussion, Punkt.
So mussten wir erst zurück nach Jordanien und dann nach Israel, wo wir in Haifa dank bemühter und freundlicher Mitarbeiter eines Reisebüros die nächste Fährverbindung nach Piräus in Griechenland buchen konnten.
In den Folgejahren verfolgte ich die Zeitungsberichte über die Lage im Nahen Osten. Es war traurig, und immer wieder traurig, zu erfahren, was gerade geschah. Unruhen in Ägypten, Attentate auf Touristen und dann Krieg in Syrien. Die wunderschöne Stadt Aleppo lag in Trümmern. Fährverbindungen von Europa nach Ägypten und Israel gibt es schon lange nicht mehr.
An eine Bullireise zu den Pyramiden war leider nicht mehr zu denken.
Viele Grüße an alle Reisenden und Bulli-Fahrer!
Volker Riegas