Mit dem Bulli in Bosnien
Michael Moll ist Reisejournalist und hat 2003 mit seinem T3 eine Tour durch Bosnien-Herzegowina unternommen, um sich einen Eindruck von den Verhältnissen acht Jahre nach dem Krieg zu machen.
„Vukovar, fahr mal nach Vukovar. Die Stadt ist nur noch so hoch.“ Der Däne hält die Hand flach über dem Boden, ungefähr in Kniehöhe. Mit dieser Erklärung und der dazugehörigen Handbewegung werde ich auf die Regionen aufmerksam, von denen man seit dem Bosnienkrieg im Jahr 1995 nicht mehr viel gehört hat. Auf einem slowenischen Campingplatz stehe ich mit meinem bunten T3 und lausche interessiert den Informationen des Entwicklungshelfers, der beim Wiederaufbau der Region um die Plitvicer Seen in Kroatien zugegen war, die heute zum Weltkulturerbe der Unesco gehören.
Ein junger Engländer, der mit seinem rechtsgesteuerten T2 eine Europareise macht, hat sich in das Gespräch eingeschaltet und erklärt, dass das britische Außenministerium vor Reisen nach Bosnien-Herzegowina warnt. Ich wusste jedoch, dass beim Auswärtigen Amt in Berlin „nur“ von der Gefahr der Landminen berichtet wird. Nach diesen verschiedenen Auskünften steht eines fest: Ich muss mir selbst ein Bild von der Lage nach dem Krieg machen.
Ich verlasse den slowenischen Campingplatz an der Adria und schlage das Lenkrad meines 22 Jahre alten Bullis Richtung Osten ein. Zunächst folge ich der gelungenen Empfehlung, die Seen von Plitvic zu besichtigen, doch dann verlasse ich die spärlichen touristischen Pfade im Binnenland Kroatiens und befinde mich recht schnell an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina. Der Zöllner drückt mir kurz einen Stempel in den Pass und schon geht die Fahrt durch ein Land, dessen Städtenamen ich bisher nur aus den Nachrichten der 90er Jahre kenne. Bihac, Banja Luka und Tuzla liegen auf der Strecke durch das nördliche Bosnien.
Auffällig moderne Gebäude und Fahrzeuge prägen das Bild der Landschaft und es dauert ein Weilchen, bis es fremdartiger wird. Auffällig sind die Schweinehälften, die direkt am Straßenrand gegrillt, verkauft und verspeist werden. Minarette ragen in die Höhe und an einem kleinen Supermarkt traue ich meinen Augen kaum. Dort steht plötzlich ein gepflegter T2 mit niederländischem Kennzeichen. Gerne wäre ich mit dem Besitzer ins Gespräch gekommen, aber trotz längerer Wartezeit lernen wir uns nicht kennen.
Auf einem staubigen Parkplatz bringe ich die Räder des markanten Busses abermals zum Stehen, worauf sofort ein kleiner Junge, vielleicht acht Jahre alt, auf mich zustürmt. Er behauptet, der Parkplatz koste eine Mark. Finster dreinblickende Gestalten am Rande des Parkplatzes, wo der Junge her kam, erleichtern den Griff zum Kleingeld.
Nach einem Spaziergang über den dortigen Markt und der weiteren Erfahrung, dass man in Bosnien mit der Mark bezahlt, die an die deutsche Währung gekoppelt ist, geht es weiter gen Osten. Die finsteren Gesellen entpuppen sich übrigens als zunächst skeptische Markthändler, die bei einem Gespräch und dem Einkauf von Obst immer offener wurden.
Auf dem Weg über die gut ausgebaute Landstraße erscheint in mehreren hundert Metern Entfernung vor mir eine Polizeikontrolle, die zunächst Anzeichen macht, den VW Bus rechts ran zu winken. Doch beim Näherkommen plötzlich die Überraschung - ich werde mit einem Lachen vom Polizisten durchgewunken. Liegt es am fröhlichen Äußeren des Wagens oder vielleicht am deutschen Kennzeichen?
Nichtsdestotrotz muss die Fahrt innerhalb des Landes trotzdem bald abgebrochen werden. Es folgen ab sofort Schilder in kyrillischer Schrift und mangels Landkarte entschließe ich mich, nach Norden abzubiegen, um wieder kroatischen Boden unter die Räder zu bekommen. Heute weiß ich erst, wie einfach eigentlich kyrillische Schriftzeichen zu lesen sind.
Mit Erreichen der Grenze befinde ich mich schließlich in der kroatischen Landschaft namens Slawonien, die im Bosnienkrieg Hauptaustragungsort der Kämpfe war. Plötzlich sind sie auch zu sehen: Kleine Warnschilder mitten in einem Feld oder direkt am Straßenrand. Auf ihnen sind Totenköpfe abgebildet und spätestens das Wort „Mina“ verrät, um was es sich hier handelt. Andere Schilder berichten von den Wiederaufbauarbeiten der EU, die mit Hilfe des Arbeiter-Samariterbundes durchgeführt werden.
Es dauert auch nicht lang, bis zerstörte Häuser den Wegesrand säumen, aus deren Fenstern meterhohes Gestrüpp wächst. Je näher sich der Bus nach Vukovar begibt, umso selbstverständlicher wird der Anblick der Ruinen. Am Ende der Straße wartet auf mich die Stadt an der Donau. „Kniehoch“, wie der Däne schilderte, mag übertrieben sein, aber die Kriegsschäden sind unverkennbar und nicht zu übersehen.
Eingestürzte Häuser neben restaurierten Fassaden, ein Brautmodengeschäft mit hübschen Kleidern neben einem Haus ohne Dach und Fenster. Woanders befinden sich die Abflussrohre von zwei benachbarten Gebäuden direkt nebeneinander, eines ist mit Einschusslöchern übersät, das andere sieht aus, als käme es gerade aus dem Baumarkt. Die Stadt wurde 1991 vom serbischen Militär eingenommen und in wochenlangen Kämpfen fast komplett verwüstet. Zudem wurde in Vukovar eine so genannte ethnische Säuberung vorgenommen.
Mit diesen beklemmenden Eindrücken geht die erste Fahrt durch den westlichen Balkan zu Ende. Doch es sollte nicht meine letzte Reise nach Bosnien-Herzegowina sein, später allerdings mit einem größeren Wohnmobil. Dabei besuche ich auch Mostar, fahre nach Mazedonien und durch Albanien bis an die Grenze zum Kosovo. Der bunte Bus und das Wohnmobil sind zwar mittlerweile verkauft, doch heute reise ich wieder mit einem T3-Diesel durch ganz Europa. Und ich werde auch beim nächsten Mal nicht zögern, Bosnien und seine freundlichen Bewohner und die wunderschöne Landschaft dort zu besuchen.
Auf seiner Internetseite gibt Michael Moll weitere Informationen über seine Reisen, das Leben im Wohnmobil und den (beruflichen) Ausstieg auf Zeit.